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Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwäche (ADH/ADHS)
Das Problem unaufmerksamer und hypoaktiver Kinder ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Thom Hartmann, selbst ein AD(H)S-Betroffener, führt die Symptome gar auf Eigenschaften zurück, die die früheren Sammler- und Jägergesellschaften zum Überleben benötigten, wie etwa ein ständiges Offensein für Reize aus der Umwelt, überschießende Energie, hohe Risikobereitschaft, blitzschnelles Umschalten u.ä. Kompetenzen, die sich dann bei der Sesshaftwerdung zunehmend als störend erwiesen. Von den ehemaligen Sammlern und Jägern musste die sesshafte Lebensweise als „langweilig“ empfunden werden und sie waren schnell von Tätigkeiten, die eine konzentrierte Ausdauer erforderten, überfordert. Auch Hippokrates (5. Jh. v. Chr.) beschrieb AD(H)S-typische Symptome und empfahl Diät und eine ruhige Lebensweise. Bekannter ist die Geschichte vom „Struwwelpeter“ des Frankfurter Arztes und Psychiater Heinrich Hoffmann aus dem Jahre 1844, der nicht nur das „Zappelphilipp-Symptom“, sondern 1847 auch den Träumer als „Hans-Guck-in-die-Luft“ in einer zweiten Auflage mit in das bekannte Buch aufnahm.
Als wesentliche Symptome des AD(H)S-Syndroms gelten folgende Symptome:
- Unaufmerksamkeit, hohe Ablenkbarkeit, schnelle Reizüberflutung, schlechte Konzentrationsfähigkeit
- Impulsivität, mangelnde Selbststeuerung, überstürztes Handeln, wenig kontrolliertes Handeln
- Überaktivität, motorische Unruhe, nicht lange sitzen können, Herumzappeln
In der Forschung geht man davon aus, dass 3 – 7 % aller Kinder von AD(H)S betroffen sind. Das AD(H)S-Syndrom wird im ICD-10 als hyperkinetische Störung mit Hyperaktivität (F90) und ohne Hyperaktivität (F98.8) gelistet. Bislang existieren keine speziellen Tests für dieses Syndrom, lediglich ein Beurteilungsbogen für Eltern, Lehrer und Lehrerinnen und Erzieher und Erzieherinnen (FBB-ADHS) und ein „Entscheidungsbaum für die Diagnose hyperkinetischer Störungen" nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (vgl Leitlinien: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/028-045l_S3_ADHS_2018-06.pdf)
Als gemeinsamen Nenner kann man sagen, dass die betroffenen Kinder (oder auch Erwachsene) nie wirklich 'bei sich' zu sein scheinen und ihre Aufmerksamkeit immer wieder nicht dort zu sein scheint, wo sie gerade benötigt wird.
Aus dieser Symptomatik können sich leider schnell andere Begleitstörungen entwickeln, denn AD(H)S-Kinder erfahren wegen ihrem unaufmerksamen und hyperaktiven, impulsiven Verhalten sehr schnell auch Ausgrenzungen und leiden unter fehlenden Erfolgserlebnissen. So können sich z.B. oppositionelles bis hin zu aggressiven Verhaltensweisen, aber auch depressive, ängstliche oder auch zwanghafte Störungen entwickeln. Häufig treten auch Teilleistungsstörungen wie Legasthenie oder Dyskalkulie auf.
Die genauen Ursachen einer AD(H)S-Symptomatik sind bis heute unbekannt. Einerseits geht man von neurobiologischen Fehlfunktionen des Gehirns und gestörtem Neurotransmitteraustausch aus, deren Ursache sowohl genetisch als auch vor- oder nachgeburtlich bedingt sein kann. Auch sozialisationsbedingte und verborgene, unbewußte (Bindungs-)Konflikte werden als Ursache benannt.
Spätestens in der Schule kommen für Kinder mit AD(H)S mehrere ungünstige Faktoren zusammen: Das lange Sitzen, sich auf eine Sache konzentrieren, erhöhter Geräuschpegel, Unruhe im Klassenraum usw. erschweren ihnen das erfolgreiche Mitarbeiten und Vorankommen. Ihr Stören im Unterricht, ihre geringe Regelakzeptanz und ihr mangelndes Ordnungsverhalten sowie die häuslichen Probleme bei den Hausaufgaben verschärfen die Lage zusehends. Ihre scheinbare „Null-Bock-Mentalität“ oder ihr oppositionell-aggressives Verhalten führen Eltern wie Lehrer schnell an ihre Grenzen. Zudem führt das meist stark verminderte Selbstwertgefühl auch schnell dazu, dass Ersatzbefriedigungen gesucht werden bis hin zum Abrutschen in soziale Randgruppen. AD(H)S- Kinder bleiben in der Schule meist unter ihren intellektuellen Möglichkeiten.
In unserer Therapie setzen wir auf einen multimodalen Behandlungsansatz, der sowohl auf erprobte und evidenzbasierte verhaltenstherapeutische Instrumente setzt, wie z.B. individuell ausgehandelte Arbeitsverträge, Belohnungssysteme, spielpädagogische Übungen zum Training exekutiver Funktionen, Konzentrationstrainings, Entspannungsübungen, Motivationstrainings u.ä.m., mit denen wir den Kindern und Jugendlichen helfen, weniger impulsiv zu handeln und sich besser zu organisieren. In unserer Therapiearbeit gehen wir von der persönlichen Lebenssituation der Schüler und Schülerinnen aus und unterstützen sie ganzheitlich, indem wir das Zusammenspiel von geistiger Leistung, Gefühlen und Bewegungen betrachten und behandeln. Insbesondere richten wir unser Augenmerk auf die Stärken dieser Kinder: Es gilt, ihre besondere Kreativität und Phantasie zu nutzen, ihre überschießenden Ideen in sinnvolle Bahnen zu lenken und ihnen immer wieder bewußt zu machen, welch tolle Kräfte in ihnen stecken. Denn AD(H)S-Kinder sind doch meist sehr charmant und fröhlich, hilfsbereit, fürsorglich und tierlieb. Es gilt, ihnen ihre Aufgewecktheit und Sensibilität sowie ihren ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und ihre anderen Stärken bewußt zu machen, denn haben sie einmal für eine Sache 'Feuer gefangen', können sie durchaus Höchstleistungen erbringen.
Literaturempfehlung:
Thom Hartmann, Eine andere Art, die Welt zu sehen: Das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom, Lübeck 2009
G. Bovensiepen, H. Hif, G. Molitor (Hg.), Unruhige und unaufmerksame Kinder, Psychoanalyse des hyperkinetischen Syndroms, Frankfurt a.M. 2004
G.W. Lauth, P.F. Schlottke, Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern, Weinheim 2002
M. Döpfner, S. Schürmann, J. Frölich, Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischen und oppositionellem Problemverhalten THOP, Weinheim 2002
K. Melzer, I. Schank, Handeln, nicht verzweifeln! Ein Führer für Eltern von Kindern mit AD(H)S in Köln, Köln 2014
W. Jenett, F. Schöningh, ADHS – 100 Tipps für Eltern und Lehrer, Paderborn 2011
Ch. Ettrich, M. Murphy-Witt, ADS – So fördern Sie ihr Kind, München 2007
Langfassung der interdisziplinären evidenz- und konsensbasierten Leitlinie „Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter: www.awmf.org
ADHS-Netzwerk: www.zentrales-adhs-netz.de